SchachtelHatten wir als Lehrlinge zu wenig zu tun, zu wenig Hausaufgaben oder war uns langweilig? Nein, unsere Generation war halt gnadenlos aktiv und kreativ und wollte dauernd „irgendwas machen“. An den Hintermännern von Lehrlingstreffen und 67er-Homepage sieht man es ja heute noch.
Also, irgendjemand kam auf die Idee mit einer eigenen „Zeitung für Rädda Barnen“. Die Heimleitung guckte zwar skeptisch, versprach aber volle Unterstützung und los ging es. Zuerst mit unendlichen Redaktions-Konferenzen (gelegentlich auch im „Nunnenbeck“).
Dann klapperte tagelang die Schreibmaschine im Wohnheim-Büro; ein PC für diese Arbeit war ja noch Lichtjahre entfernt. Das galt auch für die „Typographie“, die machten zwei künstlerisch begabte Mädels nicht mit Powerpoint, sondern mit Schere und Klebstoff. Und endlich war es soweit, die Städtische Druckerei lieferte fast 3000 Blatt Papier sauber gedruckt und geheftet.
Weil die erste Ausgabe reißenden Absatz fand, gab es ein paar Monate später noch eine zweite, dann war aber anscheinend die Luft raus. Zu den Artikeln verbietet sich heute jede Kritik, schließlich waren wir damals ja erst 16, 17 Jahre alt und wir waren ja Fernmeldelehrlinge, keine Journalisten.
Übrigens sollte eigentlich auch eine „Meinungsumfrage“ in „Die Schachtel“. Weil 1969 ja die Zeit von „Helga“, Oswald Kolle und „St. Pauli-Nachrichten“ war, ging also ein mutiger ungenannter Kollege mit umgehängtem Tonbandgerät auf Reportage und fragte am Bahnhofsplatz die Leute „Was halten Sie von Sex“. Ergebnis: Keine einzige Antwort.

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Rädda Barnen, Haus Eins unten rechts. Da kam im 2. Lehrjahr der Kollege B. auf die Idee mit der selbstgebauten Telefonanlage. Von Relais-Schaltungen hatten wir ja schon was gehört, W 48 und sonstige Bauteile gab es für eine Mark (oder umsonst) aus dem Abfallkorb und tatsächlich stand die Anlage irgendwann mehr oder weniger funktionsfähig im Spind. Die Stromversorgung kam verbotenerweise aus einer für die Holz-Häuser hochgefährlichen Lampenfassung und die Leitungen wurden auf der einen Gang-Seite entlang der Heizungsrohre von Zimmer zu Zimmer verlegt.
Soweit so schlecht, aber wir wollten ja auch über den Gang telefonieren und da kamen die Drähte unter den uralten brüchigen „Stragula-Bodenbelag“. Aber nur für einen Tag, denn als der erste da drauftrat ist, brach das Stragula sofort durch und die Geschichte war ganz schnell aufgeflogen.
Konsequent sind wir dann aber auf eine andere Kommunikations-Technik umgestiegen. Beim „Conrad“ gab es nämlich „FM-Prüf- und Mess-Sendemodule“ für den ganz normalen UKW-Rundfunkbereich, für schlappe 9,90. Meiner war mit der Batterie in einer Lord Extra-Schachtel, oben mit abgeschnittenen Filtern getarnt, Antenne und Mikro zum anstecken.
Das hat aber auch nicht lang gehalten, denn als Gerüchte aufkamen von den gelben Autos mit der Antenne auf dem Dach, die angeblich abends ums Heim kreisen, da wurde der Sendebetrieb schnell wieder eingestellt.

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