Ganz ungewöhnlich: Mitten in der Woche großer Andrang an den Duschen, Pitralon- und Brisk-Düfte durchziehen das Wohnheim, überall werden die Konfirmationsanzüge herausgeholt und Krawatten gebunden, was ist da los?
Tanzkurs in Rädda Barnen. So schnell wie dieser Kurs war noch keine der angebotenen Freizeit-Aktivitäten „ausverkauft“, vielen blieb nur der neidische Blick auf die glücklichen „Ticket-Inhaber“, und für diese wiederum war es kaum auszuhalten, bis es endlich los ging. Schließlich gehörten zu einem Tanzkurs ja auch Mädchen.
Die kamen vom nahegelegenen katholischen „Marienheim“ und wurden von den heißblütigen Jünglingen am ersten Tanzabend gespannt erwartet. Als erstes erblickte man jedoch die strenge Erscheinung der Schwester Ambrosia in ihrer schwarzen Nonnen-Kluft, denn natürlich kamen die Mädels nicht ohne eine unerbittliche Hüterin der Moral.
Nach damaligem Tanzschulen-Standard hieß es nun „Jungs links – Mädchen rechts“, und als alle brav Platz genommen hatten, begann sofort das Taxieren. Welche ist die hübscheste, welche muss man unbedingt als Tanzpartnerin haben und welche ganz unbedingt nicht. Die Bewertungen der Jungs waren da unerbittlich, ganz bestimmt ging aber in den Köpfen der Mädels das gleiche vor.
Der Abend begann mit (dringend notwendigem) Anstandsunterricht. Dann gab der Tanzlehrer endlich das Startsignal und die schon mit den Hufen scharrenden Jungs sollten endlich ihr anfixiertes Mädel zum tanzen auffordern, nach allen Regeln der Kunst mit höflichem Diener und „Darf ich bitten“.
Aber alle sprangen blitzschnell von ihren Stühlen auf und rannten wie Armin der Harry auf eine besonders Hübsche zu. Alle auf die Eine. Die Sprinter und die Rücksichtslosen waren da klar im Vorteil, es half ihnen aber nichts, denn die Schwester Ambrosia brachte zusammen mit den anderen anwesenden Autoritäten von Tanzschule und Heimleitung die Jungs schnell wieder zur Besinnung.
Nachdem sich das Chaos gelegt und die Jungs sich wieder sortiert hatten, gab es a) einen fürchterlichen Anschiss, aber auch b) einen vernünftigen Kompromiss: Mädels und Jungs wurden nun per Auslosung miteinander zum Tanzpaar verkuppelt.

Mit Verspätung ging es dann endlich in die Vollen. Wer sich aber irgendwelchen pubertären Hoffnungen und Träumen hingegeben hatte, wurde nun von der Realität eingeholt. Kein engumschlungener Stehblues, sondern Wiener Walzer und andere brave Tänze standen auf dem Lehrplan. Und wenn man seiner Tanzpartnerin dabei in unzulässiger Weise ganz aus Versehen einmal zu nahe kam, erschallte wie Donnerhall die Stimme der Schwester Ambrosia „ned so eng“ und „auseinander“. Das raubte einigen sämtliche Illusionen und vertrieb ihnen mit der Zeit die Lust auf jeden Annäherungsversuch, so dass sich die Reihen der begeisterten Tänzer von Stunde zu Stunde lichteten. Das hatte für die Ausdauernden und Standhaften natürlich nur Vorteile, hatten sie doch jetzt immer gleich mehrere Mädels zur Auswahl. Vorteile? Nicht nur, denn man durfte ja jetzt nicht nur so zwei, drei Mädels mit seinen Tanzkünsten beglücken, sondern man „musste“ jetzt ja auch.
Fortsetzung „Der Abschluss-Ball“ folgt.
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